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Quelle:

Bundesfinanzhof
Art des Dokuments: Urteil
Datum: 30.09.2010
Aktenzeichen: III R 39/08

Vorinstanz:

FG Niedersachsen
Art des Dokuments: Urteil
Datum: 12.12.2007
Aktenzeichen: 7 K 249/07

Schlagzeile:

Kein Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie durch vorläufige Steuerfestsetzungen hinsichtlich verfassungsrechtlich ungeklärter Rechtsfragen und Teileinspruchsentscheidungen

Schlagworte:

Anhängige Verfahren, Bestandskraft, Einspruch, Einspruchsentscheidung, Ermessen, Ermessensentscheidung, Festsetzungsfrist, Inhaltliche Bestimmtheit, Jahressteuergesetz 2007, JStG 2007, Klage, Musterverfahren, Rechtsschutz, Teileinspruchsentscheidung, Ungewissheit, Verfahrensrecht, Verfassungsmäßigkeit, Vorläufiger Rechtsschutz, Vorläufigkeit, Vorläufigkeitsvermerk

Wichtig für:

Alle Steuerzahler

Kurzkommentar:

Inhaltliche Bestimmtheit eines Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) - Voraussetzungen für den Erlass einer Teileinspruchsentscheidung - Verfassungsmäßiges Zustandekommen des Jahressteuergesetzes 2007 (JStG 2007) - Formelle Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes - Beendigung der Ungewissheit i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO

Leitsätze

1. Ein Vorläufigkeitsvermerk, der auf § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO und auf die Besteuerungsgrundlage hinweist, hinsichtlich derer die Steuer vorläufig festgesetzt wird, ist inhaltlich nach Grund und Umfang hinreichend bestimmt. Es ist nicht erforderlich, die betragsmäßige Auswirkung der vorläufigen Festsetzung anzugeben und die anhängigen Musterverfahren nach Gericht und Aktenzeichen zu bezeichnen ff. .

2. Ein solcher Vorläufigkeitsvermerk beschränkt sich nicht auf die zum Zeitpunkt der vorläufigen Festsetzung anhängigen Verfahren. Sind die Verfahren, die der Vorläufigkeit zugrunde liegen, beendet und ist die vorläufige Festsetzung noch nicht für endgültig erklärt, bleibt die Festsetzung vorläufig, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist (§ 171 Abs. 8 Satz 2 AO) wieder ein einschlägiges Verfahren anhängig wird ff.

3. Eine nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufige Festsetzung kann auch dann geändert werden, wenn der BFH oder das BVerfG eine Norm verfassungskonform auslegt .

4. Eine nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufige Festsetzung schränkt den verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutz des Steuerpflichtigen nicht ein. Macht er besondere Gründe materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art substantiiert geltend, kann trotz vorläufiger Festsetzung ein Rechtsschutzbedürfnis für ein Einspruchsverfahren und Klageverfahren anzunehmen sein, in dem der Steuerpflichtige ggf. auch vorläufigen Rechtsschutz erlangen kann. Erklärt die Finanzbehörde die vorläufige Festsetzung (ggf. auf Antrag gemäß § 165 Abs. 2 Satz 4 AO) für endgültig oder entfällt ein Vorläufigkeitsvermerk in einem Änderungsbescheid, sind ebenfalls Einspruch und ggf. Klage möglich ff.

5. Die Sachdienlichkeit der Teileinspruchsentscheidung ist in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar. Ist eine Teileinspruchsentscheidung sachdienlich, entspricht ihr Erlass regelmäßig billigem Ermessen mit der Folge, dass eine weitere Begründung der Ermessensentscheidung nicht erforderlich ist .

6. Eine Teileinspruchsentscheidung ist auch dann sachdienlich, wenn sie nicht allein auf schnelleren Rechtsschutz im Interesse des Steuerpflichtigen gerichtet ist, sondern dem Interesse der Finanzverwaltung an einer zeitnahen Entscheidung über den entscheidungsreifen Teil eines Einspruchs dient, der ersichtlich nur zu dem Zweck eingelegt wird, die Steuerfestsetzung nicht bestandskräftig werden zu lassen .

7. In der Teileinspruchsentscheidung wird durch Angabe der betreffenden Besteuerungsgrundlage(n) hinreichend bestimmt, hinsichtlich welcher Teile Bestandskraft nicht eintreten soll .

8. Das JStG 2007 ist verfassungsmäßig zustande gekommen. Trotz der grundsätzlich vorgesehenen drei Beratungen eines Gesetzentwurfs muss eine vom Gesetzentwurf in erster Beratung abweichende Beschlussempfehlung nicht Gegenstand einer erneuten ersten Beratung sein. Ein Verstoß gegen § 81 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags (Frist für die zweite Beratung) führt nicht zur formellen Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes ff.

Hintergrund: Hängt die Höhe der festzusetzenden Steuer von der Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht ab und ist diese Rechtsfrage Gegenstand eines Verfahrens bei dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder einem obersten Bundesgericht, wird nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen ausreichend dadurch gewahrt, dass die Steuer insoweit vorläufig festgesetzt wird. Der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen wird nach diesem Urteil des BFH auch nicht dadurch in verfassungswidriger Weise eingeschränkt, dass die Finanzbehörde auf einen Einspruch des Steuerpflichtigen gegen die Steuerfestsetzung vorab über entscheidungsreife Teile seines Einspruchs entscheidet.

Wird eine Steuer hinsichtlich eines solchen Musterverfahrens nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) vorläufig festgesetzt, kann der Steuerpflichtige Einspruch und ggf. Klage erheben, wenn er besondere Gründe substantiiert geltend macht. In einem solchen Verfahren kann der Steuerpflichtige auch jederzeit vorläufigen Rechtsschutz beantragen und bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 361 AO bzw. des § 69 der Finanzgerichtsordnung erhalten.

Ein Vorläufigkeitsvermerk, der auf § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO und auf die Besteuerungsgrundlage hinweist, hinsichtlich derer die Steuer vorläufig festgesetzt wird, ist inhaltlich nach Grund und Umfang hinreichend bestimmt und damit wirksam. Insbesondere ist es nicht erforderlich, die betragsmäßige Auswirkung der vorläufigen Festsetzung anzugeben und die anhängigen Musterverfahren nach Gericht und Aktenzeichen zu bezeichnen.

Auch die im Streitfall erlassene sog. Teileinspruchsentscheidung hält der BFH für rechtmäßig. Durch das Jahressteuergesetz 2007, das nach Ansicht des BFH verfassungsmäßig zustande gekommen ist, wurde § 367 Abs. 2a AO eingefügt, der die Finanzbehörde berechtigt, bei Sachdienlichkeit vorab über Teile des Einspruchs zu entscheiden. Anders als der Kläger sieht der BFH eine Teileinspruchsentscheidung auch dann als sachdienlich an, wenn sie nicht allein auf schnelleren Rechtsschutz im Interesse des Steuerpflichtigen gerichtet ist, sondern dem Interesse der Finanzverwaltung an einer zeitnahen Entscheidung über den entscheidungsreifen Teil eines Einspruchs dient, der ersichtlich nur zu dem Zweck eingelegt wird, die Steuerfestsetzung nicht bestandskräftig werden zu lassen. Der in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes garantierte Rechtsschutz gebietet es nicht, Einspruchsverfahren möglichst lange offen zu halten, damit der Steuerpflichtige an künftigen Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu derzeit nicht streitigen Rechtsfragen teilhaben kann.

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