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Quelle:

Bundesfinanzhof
Art des Dokuments: Urteil
Datum: 28.11.2023
Aktenzeichen: X R 3/22

Vorinstanz:

FG Niedersachsen
Art des Dokuments: Urteil
Datum: 13.04.2021
Aktenzeichen: 12 K 93/18

Schlagzeile:

Anwendung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes bei Schätzungen der Einnahmen

Schlagworte:

Bareinnahme, Bedienungsanleitung, Einnahmen-Überschuss-Rechnung, Formeller Mangel, Gutschein, Kasse, Kassensystem, Manipulierbarkeit, Ordnungsmäßigkeit, Protokoll, Rabattgutschein, Registrierkasse, Restaurantbetreiber, Schätzung, Schätzungsbefugnis, Verhältnismäßigkeit, Vertrauensschutz, Vollschätzung, Zahlung, Zeitpunkt

Wichtig für:

Steuerberater

Kurzkommentar:

1. Zur Begründung einer Schätzungsbefugnis dem Grunde und der Höhe nach darf der Tatrichter sich nicht mit der bloßen Benennung formeller oder materieller Mängel begnügen, sondern muss diese auch nach dem Maß ihrer Bedeutung für den konkreten Einzelfall gewichten.

2. Eine Vollschätzung unter vollständiger Verwerfung der Gewinnermittlung des Steuerpflichtigen ist nur zulässig, wenn die festgestellten Mängel gravierend sind.

3. Die Verwendung eines objektiv manipulierbaren Kassensystems stellt grundsätzlich einen formellen Mangel von hohem Gewicht dar, da in einem solchen Fall systembedingt keine Gewähr für die Vollständigkeit der Einnahmenaufzeichnungen gegeben ist.

4. Das Gewicht dieses Mangels kann sich in Anwendung des Verhältnismäßigkeits- und Vertrauensschutzgrundsatzes im Einzelfall auf ein geringeres Maß reduzieren. Das gilt insbesondere dann, wenn das Kassensystem zur Zeit seiner Nutzung verbreitet und allgemein akzeptiert war und eine tatsächliche Manipulation unwahrscheinlich ist.

5. Der in der Verwendung einer solchen objektiv manipulierbaren elektronischen Registrierkasse einfacher Bauart liegende formelle Mangel begründet keine Schätzungsbefugnis, wenn der Steuerpflichtige in überobligatorischer Weise sonstige Aufzeichnungen führt, die eine hinreichende Gewähr für die Vollständigkeit der Einnahmenerfassung bieten.

6. Bei elektronischen Registrierkassen einfacher Bauart werden Funktionen und Stand der festen Programmierung (Firmware) durch die Bedienungsanleitung dokumentiert. Änderungen von Einstellungen der Kasse sind vom Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der Vornahme der Änderungen durch Anfertigung entsprechender Protokolle über die vorgenommenen Einstellungen zu dokumentieren (Präzisierung des Senatsurteils vom 25.03.2015 - X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743, Rz 26 ff.).

7. Übergibt ein Kunde für eine Leistung des Steuerpflichtigen einen Rabattgutschein, auf den nach den Gutscheinbedingungen ein Dritter eine Zahlung an den Steuerpflichtigen leisten soll, fließt dem Steuerpflichtigen bei Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung eine Einnahme nicht bereits mit Übergabe des Gutscheins, sondern erst in dem Zeitpunkt zu, in dem der Dritte die Zahlung an den Steuerpflichtigen leistet.

AO § 145 Abs. 2, § 158, § 162 Abs. 1 Satz 1, 2, Abs. 2 Satz 2
EStG § 4 Abs. 3, § 11 Abs. 1

Hintergrund: Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 28.11.2023 – X R 3/22 seine Rechtsprechung zur Anwendung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes bei Schätzungen fortgeführt.

Im zugrunde liegenden Fall verwendete ein Restaurantbetreiber, der einen großen Teil seiner Einnahmen in Form von Bargeld erzielte, in den Jahren 2011 bis 2014 eine elektronische Registrierkasse sehr einfacher Bauart, die bereits in den 1980er Jahren entwickelt worden war. Das Finanzamt (FA) sah die Aufzeichnungen des Klägers nicht als ordnungsgemäß an und nahm eine Vollschätzung der Erlöse vor. Dies führte zu einer Vervierfachung der erklärten Umsätze. Das Finanzgericht (FG) beauftragte einen Sachverständigen mit der Begutachtung der Registrierkasse. Dieser kam zu dem Ergebnis, ein bestimmter interner Zähler der Kasse, der die Lückenlosigkeit der Tagesausdrucke sicherstellen solle (Z1-Zähler), könne durch Eingabe entsprechender Codes verändert werden. Eine solche Änderung könne allerdings im Zuge von Reparaturen der Kasse erforderlich werden. Daraufhin sah das FG die Kasse als objektiv manipulierbar –und damit ungeeignet für steuerliche Zwecke– an und bestätigte die Vollschätzung des FA im Wesentlichen. Eine tatsächliche Manipulation der Kasse hat das FG nicht feststellen können.

Diese Entscheidung hat der BFH aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung an das FG zurückverwiesen. Zwar sei die vom Kläger verwendete Registrierkasse objektiv manipulierbar gewesen. Dies stelle grundsätzlich einen formellen Mangel von hohem Gewicht dar, der dem FA eine Schätzungsbefugnis gebe. Allerdings sei das Wissen um die Manipulierbarkeit derart alter Kassenmodelle erst im Laufe der Zeit gewachsen. Daher sei den Steuerpflichtigen in Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit unter bestimmten –im Urteil näher ausgeführten– Voraussetzungen Vertrauensschutz zu gewähren. Das Gewicht des in der objektiven Manipulierbarkeit liegenden Mangels sei dann nicht so hoch wie im Regelfall und könne bei Führung zusätzlicher Nachweise sogar ganz entfallen.

Tenor:

Die Revision wird als unzulässig verworfen, soweit der Kläger für das Jahr 2011 den Betriebsausgaben- und Vorsteuerabzug aus einer Rechnung der Fa. X über 9.748,48 € begehrt.

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 13.04.2021 - 12 K 93/18 aufgehoben.

Die Sache wird an das Niedersächsische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

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